Mein letzter Blog

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von J.P. Conrad

Artikelbild 08.10.2022

Die Bösen sind auch nur Menschen

Der Titel dieses Blogbeitrags mag, angesichts der im Jahr 2022 herrschenden Krisen, ein wenig provokant klingen. Aber keine Angst: Ich werde mich hüten, in irgendeiner Form politisch zu werden. Nein, es geht heute um ein bestimmtes Kapitel aus meinem aktuellen Thriller Die Jagd der Henker. Es ist eigentlich für den Fortgang der Handlung gar nicht so sehr wichtig, aber für mich ist es das schon.

Egal, ob im Buch oder im Film: Bösewichte sind immer ein reizvolles Thema für Leser und Publikum. Man ist fasziniert von ihrer Gerissenheit, ihrer Diabolik und dem anscheinend nicht vorhandenen Gewissen. Bösewichte sorgen für Leid und Tod und scheren sich meist einen Dreck um Konventionen. Dabei wahren sie (zumindest in der Welt der Fiktion) den Schein ehrbarer Bürger, ja, inszenieren sich vielleicht sogar als Menschenfreunde. Beispiel: Dominic Greene aus dem James Bond Film Ein Quantum Trost (2008). Er leitet auf der einen Seite eine Umweltstiftung (Greene Planet), auf der anderen macht er mehr als unsaubere Geschäfte mit dem Leid der Menschen und schreckt zur Erreichung seiner Ziele auch vor Mord nicht zurück. Natürlich gibt es noch viele, viele weitere Beispiele.

Was mir aber beim Schreiben immer wichtig ist und was ich bei Filmen oft vermisse, ist ein Blick hinter die Kulissen des Antagonisten. Was ihn antreibt, ist oft klar. Es geht meist um Macht (-erhalt) und natürlich immer wieder um Geld. Paradebeispiel in meinem "Universum" ist hier Lloyd McKendrick aus Totreich. Er ist ein steinreicher Industrieller mit einem weltweit verzweigten Unternehmensgeflecht. Er kennt keine Moral mehr und versucht, immer neue Geschäftsfelder zu erobern und Konkurrenten zu schlucken, um seine Vormachtstellung auszubauen. Und auch er schreckt nicht vor unsauberen Methoden zurück. Totreich war mein Erstlingswerk und ich denke, ich würde heute seinen Charakter viel tiefer gestalten. Er würde vielleicht ein Kapitel mit einer Vorgeschichte erhalten, die seine Motivation erklärt. Das habe ich, wie ich zugeben muss, damals versäumt. Aber hier kann man auch einfach den bekannten Spruch "Macht verdirbt. Und absolute Macht verdirbt absolut" anwenden. McKendrick ist seinem immer größer werdenden Hunger nach Macht erlegen. Es ist wie eine Droge für ihn.

Später habe ich diesen Blick hinter die Kulissen als essentiellen Teil meiner Geschichten in diese mit einfließen lassen. Die Leser bekommen ein klares Bild davon, was den Bösen dazu animiert, böses zu tun. Schon in meinem zweiten Thriller Aufgefressen werden die Motive, wenn auch, aus dramaturgischen Gründen, erst sehr spät, plausibel und man kann sagen: "Der arme Mensch, was musste er erdulden? Kein Wunder, dass er so geworden ist." Die Tagline aus Veranda bringt es auf den Punkt: "Vom Menschen zum Monster ist es nur ein kleiner Schritt". Hier legte ich viel Wert auf die Charakterzeichnung des bzw. der Antagonisten. Man kann ihnen ihr Handeln, auch wenn es natürlich moralisch höchst verwerflich ist, nachsehen und ihnen sogar (fast) verzeihen. Wenn man etwas Mitleid mit ihnen hat, sind sie die perfekten Antagonisten, denn sie wirken nahmbar / greifbar. Alles andere wäre hier zu eindimensional. Wir alle wissen schließlich, dass es nicht nur schwarz oder weiß gibt.

Aber worum geht es nun in dem besagten Kapitel in Die Jagd der Henker? Zwei Handlager des Antagonisten, die auch vor Mord nicht zurückschrecken, durchstreifen in ihrem Auto die Straßen Londons, auf der Suche nach der Nemesis ihres Chefs. Dabei erfährt der Leser von ihrer Frustration und dem Dilemma, in dem sie stecken. Denn eigentlich würden beide lieber etwas anderes tun, als stur Befehle zu befolgen: »Befehle! Ich dachte eigentlich, nach dem Naval Service wäre Schluss damit. Aber na ja, wenigstens zahlt er gut.«

Außerdem kursieren Gerüchte, dass Abtrünnige der "Familie" wohl einen schnellen Tod ereilen. Hier spielen also Angst und Einschüchterung eine große Rolle. Die beiden sind quasi Leibeigene, die Folge leisten müssen, ob sie wollen, oder nicht. Im weiteren Verlauf des Gesprächs reden sie dann mit Wehmut über ihre Familien und wünschen sich, bald wieder bei ihnen zu sein. Ein absolut nachvollziehbares Gefühl. Warum sollen die Bösen, oder besser, die zu bösen Taten Getriebenen, das nicht auch fühlen?

Der Traum einer der beiden ist es, ein eigenes Fitnessstudio zu eröffnen; er möchte aus dem dunklen Kreislauf ausbrechen und ehrbar werden. Das zeigt, dass es also nicht selbstverständlich ist, gegen Moral und Gesetz zu handeln und auch keine Erfüllung bringen muss. Die beiden jedenfalls haben keinen Spaß am Töten. Es war mir, wie gesagt, wichtig, diese zwei Charaktere als menschlich darzustellen. Sie sollten, auch wenn sie in der Geschichte keine wirklich großen Rollen haben, dem Leser zeigen, dass es neben dem schmutzigen Geschäft auch ein normales Leben oder zumindest den Wunsch danach gibt. Das unterscheidet sie von gesichtslosen Killern, die einfach da sind und ihren Job erledigen. Es steigert letztendlich die Glaubwürdigkeit.